Der nicht ganz leichtgewichtige Vertriebsleiter der deutschen Tochter eines amerikanischen Zuliefererunternehmens kommt auf Wunsch seines Geschäftsführers ins Coaching. Noch im Türrahmen drängt er die Beraterin in den Beratungsraum zurück und stellt sich mit den Worten vor: „Wir müssen verkaufen, verkaufen, verkaufen! Da muss man dann auch schon mal Schwein sein.“ Zunächst leicht irritiert, dann auch ein wenig amüsiert, antwortet sie ihm: „Aber das muss doch nicht gleich jeder merken!“
Die kleine Szene zeigt prägnant, was Management-Coaching im Umgang mit Gefühlen kann und tut: Beratungsanliegen, die sich aus Gefühlen ergeben, die den Unternehmenswelten entspringen, werden in der Coaching-Beziehung aktualisiert und reinszeniert. Durch diese Reinszenierung wird ihre Tiefendimension offenbar und somit verständlich. Dieses Verständnis ermöglicht dem Klienten einen veränderten Umgang mit sich und den Anderen.
Die Chefin eines kleinen Reisebüros berichtet von schwierigen Kunden, die „permanent gepampert“ werden wollen. Angebote müssen nicht nur übersichtlich formuliert und wiederholt geändert werden. „Können Sie mir das Angebot von gestern noch einmal zuschicken; es war in dem Email-Anhang mit dem Vorschlag von heute nicht enthalten“, bittet der Kunde telefonisch. Die Beraterin, der diese Episode erzählt wird, sagt voller Empathie zur Klientin: „Und als Chefin des Reisebüros müssen Sie immer freundlich bleiben!“ „In Ihrem Job ist es ja auch nicht besser!“ lautet die Antwort der Reisekauffrau.
Die Beraterin reagiert verblüfft. Stimmt das denn? Muss auch sie zu ihren Klienten immer so freundlich sein wie die Chefin eines Reisebüros zu ihren Kunden? Und es stellt sich der Beraterin noch eine irritierende Frage: „Kann es sein, dass die Klientin auch authentisches Mitgefühl als ‚surface acting‘ interpretiert?“
Den für jeden von uns charakteristischen Umgang mit Gefühlen lernen wir von Kindesbeinen an. Zunächst als basale Körperreaktionen wahrgenommen, vermitteln uns frühe Bezugspersonen Namen für diese Reaktionen: Angst, Wut, Ekel, Freude, Trauer – so werden die Affekte zu Gefühlen, die man Anderen mitteilen kann.
Wenn der kleine Fritz mit seinen fünf Jahren nicht mehr sagen muss: „Ich habe Bauchschmerzen“, sondern sagen kann: „Mama, wenn Du gehst, habe ich Angst“, dann ist ein großer Schritt getan. Die Mutter wird dann nicht mit dem kleinen Fritz zum Arzt eilen; sie kann stattdessen trösten und ermuntern. Und schon geht alles besser.
Allmählich erweitert sich das Spektrum der Gefühle und es kommen komplexe, sozial erworbene Emotionen hinzu: informationsverarbeitende Affekte wie Neugier, Interesse, Stutzen, Neid und Alarmbereitschaft. Selbstreflexive Affekte wie Scham, Schuld und Reue. Beziehungsregulierenden Affekte wie Dankbarkeit, Zuneigung, aber auch Enttäuschung, Wut, Verachtung.
Es ist schwer, diese Gefühle differenziert bei sich wahrzunehmen und auseinander zu halten, werden sie doch als Gesamtpaket gelernt. Der Professor, der die Veröffentlichungen seiner Kollegen minutiös nachhält, berichtet im Coaching davon, wie schlecht die Anreize an der Universität gesetzt würden, wo es nur für das Einwerben von Drittmitteln Anerkennung gäbe. „Da fühlen Sie sich bestimmt oft ungerecht behandelt“, sagt die Beraterin, worauf der Klient aufbraust: „Was hat das denn damit zu tun?“, Wut und Verachtung in der Stimme - und zu einem längeren Vortrag über die Unzulänglichkeiten des Systems anhebt.
Die Beraterin fühlt Traurigkeit in sich aufsteigen. Das komplexe Gefühlsgemisch, dass sich aus Wut gegen das System, Trauer über nicht erreichte Ziele, Verachtung für die Kollegen, die weniger veröffentlichen, Neid auf die, die mehr veröffentlichen oder mehr Gelder einwerben, Scham für eigene Schwächen und dem Interesse an der Fragestellung und weiteren Gefühlen speist, möchte der Klient nicht wahrnehmen. Als die Beraterin sagt: „Was für ein schwieriges Umfeld. Wie kann ich Ihnen da helfen?“, lässt die Anspannung nach.
In einer vertrauensvollen Beratungsbeziehung existieren alle diese Gefühle, genauso wie im wirklichen Leben. Ein Klient, der (wie der Vertriebsleiter) nicht gelernt hat, seine Gefühle zu verbalisieren, sondern der im Ausagieren stecken geblieben ist, bekommt durch einen Coach, der ihm dies spiegelt, eine neue Chance, sich mit seinen Mitarbeitern konstruktiv auch über seinen Ärger zu verständigen. Und eine Klientin, die wie die Besitzerin des Reisebüros, nicht lernen konnte, wahre von falscher Zuwendung zu unterscheiden, wird mit sich selbst fürsorglicher umgehen, wenn sie den destruktiven Zuschreibungen ihrer Kunden Grenzen setzen kann. Ihr Geschäft wird langfristig nicht leiden, sondern gewinnen. Der Professor, der an seinem System verzweifelt, lernt mit dem Coach, dass Sachliches nicht immer nur Sachliches ist.
Aber auch und gerade bei unspezifischen Anlässen kann der Coach dem Klienten dadurch helfen, dass er seine Gefühlslage mitfühlt und benennt. Ein Gegenüber, dass die Gefühle des Klienten versteht, darauf eingeht und gelegentlich auch Grenzen setzt, entlastet und hilft, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen und Antworten auf die Frage zu finden, wie man sich selber im Angesicht von nicht zu ändernden Rahmenbedingungen emotional aufstellen möchte. Der Klient, der Führungskraft ist, kann darüber hinaus von einem „Affekt-Coaching“ lernen, wie es um die Gefühle seiner Mitarbeiter steht und wie er ihnen am besten begegnen kann.