Bei Meetings, Präsentationen und Verhandlungsrunden spielt die Körpersprache einer Führungskraft eine wichtige Rolle. Im Rahmen dieser Auftritte bemerken es aufmerksame Beobachter schnell, wenn die verbal geäußerte Botschaft und der nonverbale Ausdruck nicht miteinander harmonieren. Dies gilt auch für das Online-Setting, in das viele Auftritte im Zuge der Corona-Pandemie verlagert werden mussten. Bildete früher ein Konferenzraum die Bühne für den Auftritt, ist es heute meist der Bildschirm.
Nicht nur Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, wie Präsentation, Repräsentation und Team-Management digital gelingen können. Häufige Fragen sind: Wie präsentiert man sich wirkungsvoll im digitalen Raum? Wie geht man damit um, wenn man sich selbst im Zoom-Fenster gespiegelt sieht? Auf welche Weise agiert man vor Laptop-Kameras, die nur einen Ausschnitt des Körpers zeigen? Kurz: Wie entwickelt man eine digitale Präsenz? Ein Coaching kann dabei unterstützen, digitale Medienauftritte professionell, positiv und authentisch zu gestalten. Im Folgenden werden der Umgang mit digitalen Kommunikationsmitteln reflektiert und praktische Tipps gegeben.
Was versteht man eigentlich unter digitaler Präsenz? Ein präsentes Dasein und digitale Strukturen schließen sich auf den ersten Blick aus. Doch spätestens seit im Rahmen der Pandemiebekämpfung auch unsere Arbeitswelt flächendeckende Umstellungen erfahren hat, ist sichtbar geworden, dass sich Gegensätze anziehen und sogar miteinander verbinden lassen. Das Scharnier heißt Kommunikation.
Im zweiten Jahr der Pandemie ist es den meisten nur allzu vertraut: Meetings, Präsentationen, Diskussionen, Kundengespräche und Coachings finden online statt. Man sitzt im Homeoffice, schaltet Zoom an und stellt sich selbst sofort auf stumm, damit die Leitung steht. Schließlich findet man sich als Kachel unter Kacheln wieder, die Kontakt zueinander suchen, als ginge es um Begegnungen der dritten Art.
Keine Frage, die digitalen Angebote haben den betrieblichen Alltag sogar im Lockdown aufrechterhalten. Das ist ein Gewinn, nicht bloß wirtschaftlich, sondern auch infrastrukturell, interkulturell und technikhistorisch. Aber muss man sich umgekehrt nicht auch selbst digitalisieren, sprich die eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungen an die Maschinen anpassen? Präsenz ist die Voraussetzung für jede authentische Beziehung. Doch wie kann Präsenz gelingen, wenn sie durch einen Screen vermittelt wird, der physikalisch eine Barriere darstellt? Das eine steht für körperliche Nähe, das andere für Distanz. Eine Zerreißprobe?
Ein Vergleich kann hier helfen, zu einer progressiven Antwort zu kommen: Auch der Umgang mit Mundschutzmasken ist als Brennpunkt aus der Pandemie erwachsen. Mit Sicherheit sind Masken keine Dauerlösung für gesundheitspolitische Probleme, und gewiss ist es damit nicht leichter geworden, schnell durchzuatmen. Doch hat dieses kleine Objekt vielen Menschen überhaupt bewusst gemacht, dass und vor allem wie sie atmen. Am Anfang schien es fahrlässig, etwa in Yogastunden mit Mundschutz Pranayama zu praktizieren. Inzwischen gibt es in das Atemtraining integrierte Übungen mit Mundschutz, um die Zirkulation des eigenen Atems achtsamer nachzuverfolgen – eine Körpertechnik des Öffnens, ermöglicht durch ein Hilfsmittel des Verhüllens.
Nach diesem Muster lässt sich ebenso unsere digitale Kommunikation betrachten. Es gilt zu verstehen, dass dort, wo eine Schwierigkeit auftaucht, zumeist auch ein Angebot wartet:
Der Screen lässt sich als Rahmen verstehen, die Zoom-Anordnung als Bühne und beides zusam-men als Portal, in dem man sich auf neue Weise ausprobiert. Man darf sich inszenieren, ohne den durch das Homeoffice gegebenen Schutz opfern zu müssen. Wann gab es jemals eine so spielerische Maßgabe in der Arbeitswelt? Die selbstverständlichsten Körper-, Bewegungs-, Kontakt- und Interaktionsmuster dürfen überdacht und neu gestaltet werden. Etwa der Blick:
Der Blick – die seelische Fähigkeit, sich mit den Augen über die mechanische „Kenntnisnahme durch Sehsinn“ hinaus ins Spiel zu bringen – zählt viel in der analogen zwischenmenschlichen Kommunikation. Umso mehr zählt sie digital, da Medien primär visuell ausgerichtet sind. Auch bei einem Online-Termin wird der Erstkontakt für gewöhnlich über die Augen hergestellt. Allerdings ist das Angucken nun mehr ein Hineingucken. Denn alle am Meeting Beteiligten kommunizieren das Visuelle über je ein Kameraauge. Dies verschiebt das Gewohnte. Allzumal jeder weder alles vom Gegenüber sehen noch selbst vom Gegenüber in seiner Gesamtheit gesehen werden kann. Der Standardbildausschnitt reduziert die Einzelnen auf Kopf, Rumpf, Arme und Hände (die man deshalb immer „mitsprechen“, die anderen sehen lassen sollte – das stiftet Sicherheit!).
Auf der digitalen Bühne muss man also in die Kamera schauen, um sein Gegenüber fokussiert ansprechen oder einfach auch, um generell ein Wohlgefühl herstellen zu können, welches Grundlage für jede gelingende Kommunikation ist. Gleichzeitig muss man den Bildschirm im Auge behalten, um die eigene Sitzhaltung, Mimik und Gestik der Situation anzupassen. Klappt das Erste nicht, verliert man die Aufmerksamkeit des Gegenübers. Klappt das Zweite nicht, verliert man sich selbst.
Praxistipp
Schneiden Sie sich aus einer Zeitschrift ein schönes Augenpaar aus, teilen es in der Mitte und heften ein Auge links, ein Auge rechts neben Ihre Rechnerkamera. Diese „kognitive Aufsplitterung“ wird Sie beim nächsten Online-Meeting daran erinnern, dass Sie beim Sehen aktiv und lebendig bleiben. Zudem verlebendigen die Fotoaugen für Sie den Blick Ihrer Kunden oder Ihrer Teammitglieder, sodass Sie selbst das Gefühl von sich abwenden, „nur“ mit einer Kamera zu reden.
Im Kern geht es um Wertschätzung zugleich nach außen wie nach innen hin. Und damit sind wir wieder bei den Kontrahenten Nähe und Distanz angelangt. Diesmal jedoch wirken die beiden wie Sparringspartner: Der digitale Auftritt erweist sich als neues performatives Format, in dem Nähe und Distanz zu einer dritten Größe zusammengezogen werden. Man nennt diese die digitale Präsenz.